Ein warmer Tag im Mai

Kurzgeschichte

Es ist ein warmer Tag im Mai. Die ganze Stadt steht seit Beginn der Woche unter Strom und auch ich bin seit Montag nervös. Es scheint so, als würde ein Tuch über dieser Stadt liegen. Eine Stadt, die sonst so unscheinbar ist, dass einzige, womit sie in den Medien für Aufmerksamkeit sorgt, ist ihre Armut. Zu der Armut kommt die Tatsache, dass diese Stadt auch noch mit die hässlichste Stadt des Landes ist, doch in dieser Woche scheint alles anders.

Die Stadt strahlt in vollem Glanz in ihren Farben. Die Sonne scheint und die Stadt brennt auf dieses eine Event hin, Samstag 20.30 Uhr. Es kommen Menschen von Nah und Fern, nicht nur Bewohner dieser Stadt, doch alle sind in der Aufgabe vereint.

Für mich beginnt die Vorbereitung um 17:00 Uhr und ich treffe mit meinen Freunden, um zu dem Standpunkt des Events zu laufen, denn wir wollen rechtzeitig vor Ort sein und die komplette Atmosphäre mitfühlen. Nein, nicht nur fühlen. Es ist ein Lebensgefühl, welches in unseren Adern pumpt. Kalter Schweiß, erhöhter Herzschlag und einfach nur ein Gefühl von „Wo soll ich mit meinen ganzen Emotionen hin?“

Zu diesem Zeitpunkt ist es kurz nach 17:00 Uhr, dreieinhalb Stunden vor Spielbeginn und wir tragen alle die Farben, die uns vereinen. Blau und Weiß. Meine Freunde und ich machen uns auf den Weg und die Gespräche spitzen sich zu und wir spekulieren, wie das Spiel ausgehen wird, ein Spiel, welches in die Geschichte eingehen könnte. Die fünf Kilometer, welche wir bis zum Stadion gelaufen sind, vergehen wie im Flug und nun beginnt das Warten.

18:00 Uhr, zweieinhalb Stunden vor Spielbeginn: Nun warten wir auf zwei weitere Freunde. Wir warten an der Mauer der tausend Freunde. Diese Mauer zu betrachten erhöht den schon rasenden Herzschlag. Auf dieser Mauer stehen Tausende von Fans, welche sich auf dieser Mauer verewigt haben und seit Jahrzehnten zu diesen Farben stehen. Die Sonne strahlt auf unsere Gruppe herab und um uns herum läuft ein Meer aus blau-weißen Menschen herum, welche genau so unter Strom stehen, wie wir es tun.

Kurz darauf fährt über uns auf der Brücke der Mannschaftsbus vorbei und diese blau-weiße Menschenmasse fängt zu singen an. Gänsehaut breitet sich an meinem ganzen Körper aus und meine Stimme ertönt zu dem angestimmten Lied und es ist eine Form von Ekstase, welche durch meinen Körper strömt. Daraufhin werden immer wieder Lieder angestimmt und so sind auch unsere letzten Freunde eingetroffen.

19:30 Uhr, wir sind nun durch die Kontrolle und begeben uns zu unserem Platz in der Kurve. Die Nordkurve ist die Heimat und das Herz dieses Vereins, dieser Familie und nun stehen wir mitten drin. Es ist eine Stunde bis zum Spielbeginn und dieses Adrenalin, welches im Körper ist, vermischt sich mit Aufregung und Anspannung. Kurz darauf kommt die Mannschaft auf das Feld, um sich warm zu machen und es geht ein ohrenbetäubendes Klatschen durch dieses Stadion, welches bald schon zu einem Hexenkessel werden sollte.

20:20 Uhr, es wird das Vereinslied angestimmt und die Choreografie ist heute eine andere. Zu dem lauten Gesang des ganzen Stadions kommt auch Pyrotechnik zum Einsatz und die Kurve erstrahlt neben den Vereinsfarben Blau und Weiß auch noch in der Farbe der Romantik, Rot. Der Hexenkessel ist geboren und das Spiel wird angepfiffen.

20:39 Uhr, alles sollte anders kommen und der Klub aus St. Pauli geht in Führung, doch die Stimmung kippt nicht. Ganz im Gegenteil, die Nordkurve beugt sich auf und gibt noch mehr Gas. Die Gesänge werden lauter und die Stimmung ist hervorragend.

20:47 Uhr der Ball schlägt zum zweiten Mal im Netz der Schalker ein und es scheint so als ob dieser zweite Nackenschlag die Schalker ausgeknockt hätte, doch es kommt ganz anders.

21.17 Uhr, es wird zur Halbzeit gepfiffen und schon beginnt die Diskussion in unserer Gruppe. Das Adrenalin flacht ab und die Euphorie scheint gedämmt, doch auch dies sollte sich schlagartig ändern.

21.33 Uhr, das Spiel läuft erst seit einer Minute wieder und der FC Schalke bekommt einen Elfmeter und verwandelt diesen. Diese enorme Freude, welche in mir, bei meinen Freunden in dieser Kurve in diesem ganzen Stadion ist enorm und absolut einzigartig. Die Lautstärke der Fangesänge wird noch lauter und die Fans peitschen diese elf Männer mit dem ganzen Herz nach vorn.

21.57 Uhr, der Ball schlägt zum 2-2 ins Netz der Gäste ein und spätestens jetzt steht dieser ganze Hexenkessel Kopf. Ich hab schon lange keine Stimme mehr und ich schaue um mich 62.271 Menschen die Stehen. Jeder Einzelne auf den Tribünen steht, keiner sitzt mehr auf seinem Platz und bangt auf ein weiteres Tor, ein weiteres Tor welches alles ändern könnte.

22.04 Uhr, der Wahnsinn geschieht, der Ball prallt von der Latte hinter die Linie und das Endergebnis ist vervollständigt. Das 3-2 ist gefallen und das Bangen um den Abpfiff beginnt in diesem Hexenkessel. Es scheinen die längsten 21 Minuten der Welt zu sein, doch dann ist es vorbei, das Spiel ist aus und nun gibt es keine Kontrolle mehr über die Freude dieser Menschen.

Alle Dämme brechen und die Fans rennen auf den Platz und vergießen Tränen der Freude auch ich renne auf den Platz und fühle mich wie ein Kaiser. Als hätten wir die Welt, die uns zu Füßen liegt. Diese komplette Ekstase ist nicht in Worte zu fassen. Dieser Aufstieg ist nicht nur eine Zahl vor der Liga, in der diese Mannschaft in der nächsten Saison spielt.

Es ist eine Aufwertung dieser Stadt. Es ist eine Aufwertung des Lebensgefühls in dieser Stadt und es fühlt sich an, als ob jeder dein Kumpel ist. Menschen liegen sich in den Armen, welche sich nur durch die Farbe des Trikots kennen und vereinen. Die ganze Stadt steht Kopf. Das Einzige, was noch zuverlässig fährt, sind die Bahnen, welche zur Stadtmitte fahren.

Alle Straßen um dem Stadion herum sind abgesperrt und jene, welche nicht abgesperrt sind, sind überfüllt von einem blau-weißen Meer. Überall bebt der Boden, überall ertönen Gesänge und überall hört man ohrenbetäubendes Autohupen. Es ist, als würde der Weltfrieden besiegelt worden sein. Auch wenn dies leider nicht der Fall ist, hat diese Nacht eine Auswirkung, welche noch in Jahrzehnten von Relevanz zeugen wird und ich bin unfassbar sprachlos und stolz, ein Teil dieser einzigartigen Nacht gewesen zu sein. Eine Nacht, welche diese Stadt niemals vergessen wird.